
Die SPD-Abgeordneten bemängeln insbesondere die „Politik vom grünen Tisch“, die fernab des Landkreises von der Landesregierung betrieben werde. „Mit uns hat keiner gesprochen, unsere konkreten Probleme vor Ort wurden von der Landesregierung nicht berücksichtigt“, erklärt die Abgeordnete Dörthe Weddige-Degenhard.
Als ein Beispiel nennen Weddige-Degenhard, Bosse und Hensel das Gesundheitswesen: „Der demographische Wandel wird die bisherigen Strukturen zur Gesundheitsversorgung einem Stresstest unterziehen und massiv ändern. Wir in unserer Region brauchen Antworten von der Landesregierung, wie sie die ärztliche Versorgung sicherstellen will. Die Menschen brauchen Antworten auf drängende Fragen wie der ärztlichen Versorgung bei uns vor Ort und nicht die Aneinanderreihung von Prüfaufträgen“, so der Abgeordnete Marcus Bosse.
„Weniger Menschen bedeutet für unseren Landkreis auch weniger Finanzmittel. Und weniger Geld hat einen Rückgang unserer Gestaltungsmöglichkeit zur Folge. Wir werden hier vor Ort nochmals geschwächt. Auch darauf hat die Landesregierung keine Antwort – im Gegenteil, sie will die Steuern weiter senken und den Kommunen damit noch weniger Mittel zur Verfügung stellen“, erklärt SPD –
Kreistagsfraktionsvorsitzende und Landtagskandidat für den Wahlkreis Wolfenbüttel Nord Falk Hensel.
Die drei fordern von der Landesregierung konkrete Maßnahmen zum Umgang mit der schrumpfenden Bevölkerung in Niedersachsen. „Das vorgestellte Konzept von Ministerpräsident McAllister ist leider nur eine rückwärtsgewandte Bilanz seiner Regierung. Wir brauchen aber zukunftsweisende Ideen und keine Absichtserklärungen ohne Substanz“, sind sich alle drei einig.
Der Landkreis Wolfenbüttel ist besonders vom demographischen Wandel betroffen. Die Anzahl der älteren Menschen in der Region nimmt zu und die Anzahl der jungen Menschen nimmt ab. Bereits im Jahr 2007 hat eine Kommission des Landtags auf die Herausforderungen dieser Situation aufmerksam gemacht. Aber die Landesregierung habe den Bevölkerungswandel in Niedersachsen „nachhaltig verschlafen“, so Marcus Bosse. „Diese Landesregierung hat die Aufgabe den demographischen Wandel zu gestalten viele Jahre lang vernachlässigt. Wir brauchen jetzt ein integriertes Gesamtergebnis und können uns den Stillstand nicht mehr leisten“, erklären die SPD-Vertreter.
HINTERGRUNDINFO ANHAND VON BEISPIELEN
Zur Vorgeschichte
Bereits im Jahr 2007 hat eine Enquete-Kommission des Niedersächsischen Landtags einen Bericht zur Bevölkerungsentwicklung in Niedersachsen vorgelegt. Seitdem gibt es kein Konzept der Landesregierung, obwohl die große Mehrzahl der anderen Bundesländer solche Konzepte bereits seit langem vorliegen haben. „Die Landesregierung hat das wichtigste Thema der Landesentwicklung schlicht verschlafen“, so Stephan Weil.
Dabei sind die Prognosen alarmierend: Landesweit wird ein Rückgang der Gesamtbevölkerung um ca. 5 % bis 2030 erwartet, aber um 12 % bei den 0-2- und um 13 % bei den 3-5-Jährigen. Die Schülerzahlen gehen dramatisch zurück um mehr als 20 %, die Zahl junger Arbeitskräfte sogar um 24 %. Dafür steigt die Alterung rasant an, die Zahl der 65- bis 79-Jährigen um 25 % und die der über 80-Jährigen sogar um fast 60 %.
Kein Konzept, nirgends
Das nun vorgelegte Papier ist zwar mehr als 60 Seiten stark, enthält aber keinerlei Orientierung für die künftige Landespolitik. „Es handelt sich mehr um eine Pflichtübung der einzelnen Ressorts, ist aber alles andere als ein Handlungskonzept“, kritisiert Weil. Prioritäten seien ebenso wenig zu erkennen wie konkrete Schritte. Über weite Strecken handele es sich eher um einen Rechtfertigungsbericht und einen Katalog der Unverbindlichkeit.
Sträfliche Vernachlässigung der Familienpolitik
Besorgniserregend ist vor allem die Entwicklung der Geburten. Zwischen 2005 und 2010 ist die Geburtenrate um 5,8 % zurück gegangen. Damit nimmt Niedersachsen den letzten Platz unter allen Bundesländern ein. Gleichzeitig kommt die Kinderbetreuung nicht voran. Bei den Krippenplätzen ist Niedersachsen Vorletzter unter den 16 Bundesländern. Stephan Weil: „ Da gibt es einen Zusammenhang. Nur in einem kinder- und familienfreundlichen Umfeld werden wir diesen Trend stoppen können.“ Dass die Landesregierung wider besseres Wissen weiter das sog. Betreuungsgeld unterstützt, sei vor diesem Hintergrund unverantwortlich.
Rückbau statt Ausbau von Bildung
Die Förderung und Qualifizierung von Kindern und Jugendlichen muß unter den Bedingungen des demographischen Wandels oberster Priorität haben. Deswegen hält Stephan Weil die Ankündigung der Landesregierung, zurückgehende Schülerzahlen für die Haushaltskonsolidierung nutzen zu wollen, für grundfalsch: „Bildung ist heute in Niedersachsen unterfinanziert. Wer diesen Zustand fortschreiben will, fügt der niedersächsischen Wirtschaft schweren Schaden zu. Wenn künftig ein Viertel weniger junge Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, müssen die Betroffenen wesentlich besser qualifiziert sein.“
Neben der frühkindlichen Förderung gehe es vor allem um wesentlich mehr Ganztagsschulen. Hier schmücke sich die Landesregierung mit fremden Federn. Mehrheitlich handele es sich heute in Niedersachsen um sog. offene Ganztagsschulen auf kommunale Initiative und mit kommunaler Finanzierung. Auch an dieser Stelle habe das Land seine Kommunen im Stich gelassen, meint Weil. Das müsse sich künftig ändern.
Keine Perspektive für Kommunen
Viele Aussagen der Landesregierung verweisen auf die Notwendigkeit handlungsfähiger Kommunen. Gerade an dieser Stelle habe sich die Lage aber in den vergangenen Jahren nochmals wesentlich verschlechtert: „ Die Kassenkredite der niedersächsischen Kommunen belaufen sich auf über 5 Milliarden €, viele Städte und Gemeinden sich nicht mehr handlungsfähig.“ Diesen Kommunen zeige die Landesregierung keinerlei Perspektive auf, im Gegenteil : „ Weniger Menschen bedeuten für die Kommunen nicht zuletzt auch deutlich weniger Finanzmittel. Gerade die schwachen Kommunen werden nochmals geschwächt. Darauf hat die Landesregierung keinerlei Antwort.“
Dass die Landesregierung gleichzeitig unverdrossen Steuersenkungen zustimmt und damit einer weiteren Verschärfung der kommunalen Finanzkrise beweise, dass die Kommunen von ihr keinerlei Hilfe zu erwarten hätten.
Politik am grünen Tisch
Der demographische Wandel wirkt sich in den Regionen des Landes höchst unterschiedlich aus. Während im Westen und in den großen Städten überwiegend Zuwächse erwartet werden, zeigen die Prognosen vor allem im Süden und im Westen Niedersachsens tiefe Bevölkerungseinbrüche. Darauf gehe die Landesregierung nicht ein und zeige damit eine erstaunliche Abgehobenheit: „Die Politik der Landesregierung findet fern von den Regionen am grünen Tisch statt. Auf dieser Grundlage wird man dem demographischen Wandel nicht wirksam begegnen können. Wir brauchen dringend regional abgestimmte Konzepte in Niedersachsen!“
Demographischer Wandel wird Wahlkampf-Thema
Stephan Weil kündigte an, die SPD werde den Umgang mit dem demographischen Wandel in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellen: „Es geht um entscheidende Fragen für die Zukunft Niedersachsens, für die Gesellschaft und für die Wirtschaft. Die Aussagen der Landesregierung sind von Ideen – und Perspektivlosigkeit geprägt. Das wird nicht reichen. Wir werden den Wettbewerb um das bessere Konzept für die Zukunft zum Thema des Wahlkampfes machen.“